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Jane Austen, Emma: Die Schwangerschaft der Mrs. Weston

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Kurz vor Beginn der Handlung hat die Erzieherin/Vertraute von Emma Woodhouse den Woodhouse-Haushalt verlassen, um zu heiraten; Emma lebt nun allein mit ihrem Vater, die Mutter starb vor vielen Jahren. Emma ist zwanzig Jahre alt, selbstbewusst, selbstständig, dezidiert nicht an Heirat interessiert – jedenfalls nicht an einer eigenen: Ansonsten bildet sie sich nämlich ein, eine gutes Auge dafür zu haben, wer zu wem passt und wer an wem interessiert ist, und versucht aktiv Pärchen zu verkuppeln, was alles nicht gut geht.

“Not for the world,” said Emma, smiling graciously, “would I advise you either way.”

Dabei manipuliert sie die arme Harriet ständig, die sie unter ihre Fittiche genommen hat. Selber täuscht sie sich selber, hier eine ironische Stelle, in der Emma ihrem Gegenüber genau das vorwirft, was sie selbst falsch macht:

“I thank you; but I assure you you are quite mistaken. Mr. Elton and I are very good friends, and nothing more;” and she walked on, amusing herself in the consideration of the blunders which often arise from a partial knowledge of circumstances, of the mistakes which people of high pretensions to judgment are for ever falling into; and not very well pleased with her brother for imagining her blind and ignorant, and in want of counsel.

Am Ende kommt es zu einer Liebeserklärung, nach der die zwei Beteiligten sich schon deutlich das Herz öffnen, die aber so behutsam und formelhaft und mit Worten anberaumt wird, wie Frau Rau sie immer als typisch für den Roman des frühen 19. Jahrhunderts und der Jahrzehnte zuvor zitiert:

She spoke then, on being so entreated.—What did she say?—Just what she ought, of course. A lady always does.—She said enough to shew there need not be despair—and to invite him to say more himself.

There need not be despair. Not absolutely despise you. Ein vergnüglicher Roman, mit einer fehlerhaften Heldin, intelligent geschildert. Fast durchgehen ist Emma die Fokusperson, fast alles ist aus ihrer Sicht erzählt, wenn auch in der 3. Person, mit ganz viel erlebter Rede. Aber darum geht es hier nicht.

Im Lauf des Romans wird Mrs. Weston, Emmas ehemalige Erzieherin/Vertraute, schwanger und bekommt ein Kind. Wir erfahren das – soweit ich das mitgekriegt habe – zum ersten Mal in Kapitel 42 (Kapitel VI von Band 3):

In the daily interchange of news, they must be again restricted to [other topics], such as the last accounts of Mrs. Churchill, whose health seemed every day to supply a different report, and the situation of Mrs. Weston, whose happiness it was to be hoped might eventually be as much increased by the arrival of a child, as that of all her neighbours was by the approach of it.

“The situation of Mrs. Weston” wird vorher nicht angesprochen, plötzlich wissen halt alle davon und Emma und die Leserin auch. Als Neuigkeit tritt diese Information nie in Erscheinung. Lediglich ein paar Kapitel vorher gibt es bereits eine zumindest im Nachhinein relevante Passage, in der eine Miss Bates, die stets viel, viel, viel redet, inmitten eines langen, kaleidoskopartigen, sprunghaften Monologs zu Mrs. Weston sagt:

“Very well, I thank you, ma’am. I hope you are quite well. Very happy to hear it. So afraid you might have a headache!—seeing you pass by so often, and knowing how much trouble you must have. Delighted to hear it indeed. Ah! dear Mrs. Elton, so obliged to you for the carriage!—excellent time.”

Aus diesem zweimaligen happy/delighted to hear it schließt die kundige Leserin wohl bereits auf die Schwangerschaft? Im gleichen Kapitel wird Mrs. Weston auch zum Tanz aufgefordert, lehnt aber ab. Weiß der Aufforderer da auch von der Schwangerschaft – im Dorfklatsch müsste das doch herumgehen? Und wäre die Aufforderung zum Tanz dann nicht unangebracht gewesen? Sie ist aus anderen Gründen ohnehin bereits schlechtes Benehmen, wird aber von Emma nicht auf die Schwangerschaft bezogen. Überhaupt ist das Schwangersein ihrer Freundin kein Thema und wird mit keiner weiteren Silbe erwähnt, bis dann das Kapitel 53 (Kapitel XVII von Band 3) dann unvermittelt mit der erfolgten Geburt beginnt:

Mrs. Weston’s friends were all made happy by her safety; and if the satisfaction of her well-doing could be increased to Emma, it was by knowing her to be the mother of a little girl. 

Wann und wie Emma davon erfahren hat, wissen wir nicht. Das irritierte mich beim Lesen, und Irritation ist erst einmal eine legitime, vielleicht begrüßenswerte Reaktion. War Schwangerschaft so ein Tabuthema? Das war mir weder bei deutscher noch englischer Literatur dieser Zeit aufgefallen, aber spontan fällt mir außer Kleists Marquise, sieben Jahre vor Emma, kein Beispiel ein. War das für Jane Austen ein Tabu?

Oder ist es Emma, die nicht davon erzählen will? Beim Recherchieren habe ich außer diesem einen Blogeintrag wenig gefunden, aber der hat es in sich: “Jane Austen’s Shadow Stories” gibt das Thema vor. Der Autor, Arnie Perlstein, postuliert für Austens Romane geheime Geschichten, die von der für uns erzählten Handlung verdeckt werden. Für Emma heißt das, dass die Mutter des Kindes in Wirklichkeit Jane Fairfax ist und nicht Mrs. Weston. Ich habe den Hintergrund des Blogeintrags nicht groß verfolgt, aber die Theorien scheinen vom Jane-Austen-Establishment nicht besonders enthusiastisch aufgenommen worden zu sein. Der Begriff “fan fiction” fiel anscheinend. Mich erinnern sie an diese Sache mit den Krimis und den verdeckten und offenen Geschichten in der Literatur (ausführlicher Blogeintrag dazu).

Und ja, es ist einerseits müßig, darüber nachzudenken, wann Emma von der Schwangerschaft erfuhr und warum wir nichts davon erzählt bekommen – ein Text ist ein Text und die Figuren darin haben kein Leben außerhalb des Textes. Andererseits… ungelöst und spannend ist doch auch gerade beim Maltese Falcon von Dashiell Hammett, ab wann genau Sam Spade wusste, wer seinen Partner umgebracht hat. (Hier ein interessanter Blogeintrag dazu.) Das lässt sein Verhalten im Großteil des Buchs über in unterschiedlichem Licht erscheinen – ich habe für mich noch keine abschließende Antwort darauf gefunden. Ob Hammett das selber wusste, weiß ich nicht.


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